Alfred Adler, der berühmte Schüler Freuds, wurde einmal gefragt, was ein Neurotiker machen sollte, um wieder gesund zu werden. Seine Antwort: Er soll sich um einen anderen Menschen kümmern. Die Idee, die sich hinter diesem Ratschlag verbirgt, ist denkbar einfach. Um seine eigenen Probleme in den Griff zu bekommen, kann es sehr hilfreich sein, die Aufmerksamkeit davon wegzulenken, an einen anderen Menschen zu denken und diesem etwas Gutes zu tun.
Wem es schlecht geht, der ist in der Regel damit beschäftigt, diesen unangenehmen Zustand abzustellen. Seine Gedanken kreisen, um die eigenen Situation. Eher nützlich ist es, wenn man darüber nachdenkt, was man verändern könnte. Dann ist man immerhin noch handlungsorientiert. Besonders schlecht geht es einem, wenn man nicht mehr über Lösungen nachdenkt, sondern nur noch an der Situation verzweifelt und sich innerlich darüber beklagt, wie schlecht es einem doch geht. Dieses Klagen und Jammern sind menschlich, es verändert nur nichts an den negativen Umständen.
Wenn man jemanden anderen hilft, so verändert das scheinbar auch nichts an der eigenen Situation, doch das stimmt nur eingeschränkt. Wer etwas Gutes für einen anderen tut und damit Erfolg hat, erlebt die eigene Wirksamkeit wieder. Kein anderes Merkmal ist deutlicher mit psychischer Gesundheit verbunden als diese Selbstwirksamkeit. Menschen, die unter Depressionen leiden, haben kaum Selbstwirksamkeit. Sie empfinden sich selbst als hilflos und ohnmächtig. Wer nun aber etwas unternimmt, hat die Möglichkeit zu erleben, daß er nicht machtlos ist. Er macht etwas und gewinnt dadurch Macht über sich selbst und sein Leben zurück.
Wer sich – auch gerade in dieser Zeit der Krise und erzwungenen Passivität – um andere kümmert, erlebt sich selbst als wirksam und mächtig. Vielleicht ist nicht jede Aktion erfolgreich, doch wenn man den einen oder anderen Versuch startet, ist die Wahrscheinlichkeit von positivem Feedback durchaus gegeben. Geht man einen Schritt weiter, so ist der positive Effekt auf das eigene Wohlbefinden, gar nicht vom Ergebnis abhängig. Tatsächlich ist der Einfluß eines jeden auf andere immer nur begrenzt. Kontrollieren kann man das eigene Verhalten. Wer sich aufmacht, um anderen zu helfen, überwindet die eigene Passivität, erlebt sich als handelndes Individuum, was, wenn schon nicht über eigenen Gefühle oder die anderer Menschen, so doch Kontrolle über das eigene Handeln hat. Die Ergebnisse sind tatsächlich zweitrangig. Es kommt auf das Machen an.
Wem es jetzt gerade schlecht geht, kann etwas für sich tun. Dann wird er sich besser fühlen, auch wenn er das Ziel seines Handelns nicht sofort erreicht. Er kann auch Alfred Adler folgen und etwas für einen anderen tun. Dann wird er sich auch besser fühlen, ja die Chancen stehen sogar noch besser, da die Aufmerksamkeit nicht mehr beim eigenen Leiden und seiner Überwindung, sondern bei einem anderen Menschen ist.
Auf diese Weise überwindet man das eigene Tief und schwingt sich vielleicht sogar hinauf in neue Höhen. So wie es Alfred Adler empfiehlt.
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